Ein Ratgeber für Eltern
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Wie können wir die Schulsprache (und die Familiensprache) zu Hause unterstützen und fördern?
Wir leben in einer mehrsprachigen Welt. Die Familien- und die Schulsprache sind beide Teil der Realität eines Kindes. Kinder haben in der Regel zu Hause Zugang zu beiden Sprachen, z. B. über die Mediennutzung. Als Eltern sollten Sie zu Hause keine Sprachen ablehnen oder ausschließen, weder die Familiensprache noch die Schulsprache. Es ist wichtig, dass das Kind das Gefühl bekommt, dass alle Sprachen in der Familie willkommen sind und geschätzt werden, auch wenn die Familiensprache wahrscheinlich - und zu Recht - zu Hause mehr verwendet und gefördert wird.
Hier sind einige Beispiele, die Ihnen eine Vorstellung davon geben können, wie Sie die Schulsprache zu Hause leicht und spielerisch fördern können, ohne die Familiensprache zu vernachlässigen.
Beispiel 1:
Aaron (4 Jahre) kommt mit einem neuen Lied, das er am Morgen gelernt hat, aus dem Kindergarten zurück. Seine Mutter ist zunächst ein wenig verwirrt. Sie hat das Lied vor langer Zeit schon oft gehört, aber nie mit einem anderen Text als dem ihrer Familiensprache. Aaron singt den Text in der Schulsprache, die sie weder versteht noch gut spricht. Zu Hause sprechen sie normalerweise alle die Familiensprache.
Solche kleinen Ereignisse passieren öfter, als man denkt. Aber wie soll man darauf reagieren? Um zu zeigen, dass sie die Schulsprache schätzt, könnte sie zum Beispiel aktiv der "Schulsprachversion" zuhören, die Aaron singt, und dann Aarons Aufmerksamkeit auf die Version in ihrer gemeinsamen Familiensprache lenken. Sie könnten beide Versionen gemeinsam singen, oder Aaron könnte eine Version, und seine Mutter die andere singen. Auf diese Weise könnten beide davon profitieren. Aaron könnte auch den Liedtext in der Familiensprache lernen und ihn am nächsten Tag stolz im Kindergarten präsentieren. Seine Mutter könnte ein paar neue Wörter in der Schulsprache lernen. Solche kurzen Begegnungen sind wertvolle Zeit mit Ihrem Kind und gleichzeitig eine wunderbare Gelegenheit, das Sprachenlernen spielerisch zu unterstützen.
Beispiel 2:
Nina (3 Jahre alt) möchte, dass ihr Vater ihr ein Buch vorliest, das sie von ihrem Nachbarn Max (4 Jahre alt) geschenkt bekommen hat. Das Buch ist in der Schulsprache geschrieben, aber zu Hause sprechen sie nur ihre Familiensprache. Ihr Vater versteht und spricht die Schulsprache nicht gut, aber er hat begonnen, Kurse zu besuchen, um sie zu lernen.
Ihr Vater könnte Nina das Buch in der Schulsprache vorlesen. Vielleicht wird Nina sogar darauf bestehen, dass ihr Vater das Buch genau so vorliest, wie sie es gehört hat, als Max' Mutter es ihr und Max einmal vorgelesen hat. Später könnten Nina und ihr Vater die Geschichte in ihrer gemeinsamen Familiensprache nacherzählen und sogar einige Details hinzufügen oder die Geschichte diskutieren. Auf diese Weise wird keine Sprache abgelehnt.
Das Gleiche gilt für die zunehmende Nutzung von Apps. Spiele- oder Bildungs-Apps werden nicht in allen Sprachen entwickelt und veröffentlicht. Als Eltern können Sie zeigen, dass Sie die Schulsprache schätzen, indem Sie mit Ihrem Kind Medien in der Schulsprache erkunden. Sie können die Lehrkräfte Ihrer Kinder oder auch andere Eltern fragen, ob sie Apps kennen, die beim Erkunden der Schulsprache helfen können.
Beispiel 3:
Sanaa (5 Jahre alt) ist mit ihrer Familie aus Syrien in die EU geflohen. Sie leben in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. Sie geht noch nicht in den Kindergarten/in die Kita. Außerdem spricht fast keines der anderen Kinder oder Familien in der Unterkunft die Schulsprache. Der Zugang zur Schulsprache ist daher äußerst begrenzt. In einem Jahr wird sie ohne Kenntnisse der Schulsprache zur Schule gehen müssen. Ihr älterer Bruder erhält derzeit Sprachförderung, um sich auf die Schule vorzubereiten. Er tut sich schwer mit der Schulsprache und versteht die Lehrkräfte nur schwer. Am Nachmittag sehen sie sich gemeinsam animierte Videos für Kinder in der Schulsprache an, um sich daran zu gewöhnen. Ihre Mutter sitzt in der Nähe und hört ebenfalls zu.
Als Eltern wird Ihnen nahegelegt, Ihre Familiensprache zu verwenden, aber auch so bald wie möglich offen zu sein für die Schulsprache, da diese für den weiteren schulischen und beruflichen Erfolg Ihres Kindes von entscheidender Bedeutung sein wird. Die Schulsprache wird auch für die Integration in die umgebende Gesellschaft wichtig sein. Die meisten Bücher und Medien, mit denen Ihr Kind konfrontiert wird, werden in der Schulsprache verfasst sein. Viele gleichaltrige Kinder werden vermutlich ebenfalls mehrsprachig sein, und ihre gemeinsame Kommunikationssprache wird wahrscheinlich die Schulsprache sein. Je früher Ihr Kind Zugang zur Schulsprache erhält, desto mehr Zeit hat es, sie vor der Einschulung zu lernen, und desto besser ist es auf den Schuleintritt vorbereitet. Eltern können den Zugang zur Schulsprache erleichtern und vorantreiben und sogar selbst davon profitieren, indem sie gemeinsam mit ihren Kindern lernen.
Mehr Möglichkeiten zur Förderung der Schulsprache (und der Familiensprache) zu Hause:
- Haben Sie eine positive Einstellung allen Sprachen gegenüber.
- Haben Sie zweisprachige Bücher zu Hause, um bei Bedarf oder auf Wunsch zwischen den Sprachen wechseln zu können.
- Fördern Sie Kontakt mit Gleichaltrigen, die die Schulsprache als Muttersprache sprechen.
- Fördern Sie Kontakt mit Gleichaltrigen, die die Familiensprache als Muttersprache sprechen.
- Fördern Sie Freizeitaktivitäten mit Ihrem Kind in einem Kontext, in dem die Schulsprache verwendet wird. Auf diese Weise kann die ganze Familie in die Sprache eintauchen (z. B. Kindertheater, Besuche in der öffentlichen Bibliothek, Sportveranstaltungen für Kinder usw.).
- Nutzen Sie verschiedene Medien mit Ihrem Kind, um es frühzeitig an die Schulsprache heranzuführen, z. B. Hörbücher, Lieder, Reime oder sogar kleine Videos, wenn dies angebracht ist. Das Gleiche gilt auch für die Mediennutzung in der Familiensprache.
- Bleiben Sie in der Nähe Ihres Kindes und lernen Sie mit ihrem Kind, wenn es Zugang zur Schulsprache erhält, z.B. durch Mediennutzung.
- Loben Sie jeden Fortschritt, den Ihr Kind in einer Sprache macht.
Auf diese Weise können Eltern, auch wenn sie die Schulsprache nicht als Familiensprache sprechen, ihren Kindern helfen, einen besseren Zugang zu ihr zu finden. Es wird jedoch nicht empfohlen, die Familiensprache in diesem Prozess zu vernachlässigen. Die Familiensprache sollte ihre Bedeutung nicht verlieren.
Der Schlüssel zur Sprachentwicklung - unabhängig von der Familien- oder Schulsprache - ist ein Lernumfeld mit vielen authentischen Gesprächen, in denen so viele Wörter und Ausdrücke wie möglich vorkommen, mit vielfältigen Anregungen und dem Gefühl, dass alle Sprachen geschätzt und akzeptiert werden. Es können viele Strategien angewandt werden und geeignet sein, solange Sie Ihr Kind nicht dazu zwingen, die eine oder andere Sprache zu benutzen oder es sogar dafür bestrafen, dass es die eine oder andere Sprache nicht benutzt. Die Sprachförderung sollte idealerweise spielerisch, ungezwungen und implizit erfolgen und mit positiven Erfahrungen für das Kind verbunden sein.
Sprachbildung kann überall und in jeder Situation stattfinden. Ihr Kind ist neugierig und will lernen und entdecken. So können Sie zum Beispiel sogar beim Spazierengehen gemeinsam versuchen, die Straßenschilder zu lesen. Das fördert die Sprachentwicklung und die Lese- und Schreibkompetenz. Sie können zum Beispiel versuchen, gemeinsam mit Ihrem Kind herauszufinden, was ein bestimmtes Straßenschild bedeuten könnte, und Ihre Ideen besprechen. Ein ähnlicher Prozess kann jedes Mal passieren, wenn Sie mit Ihrem Kind im Supermarkt sind.
Beispiel:
Ein Kind (5 Jahre alt) erkennt bereits die Vokale in der Schulsprache, wie a, e, i, o, u. Gemeinsam mit seiner Mutter findet es heraus, dass sich z. B. das Wort Banane auf die Bananen vor ihm bezieht. Weiterhin kann das Kind auch versuchen, herauszufinden, was die Buchstaben auf den Kästchen bedeuten, und beide können zusammen herausfinden, was damit gemeint ist. Auf diese Weise können Mutter und Kind spielerisch die Schulsprache entdecken. Außerdem bekommt das Kind eine Vorstellung davon, wie Wörter geschrieben werden, ohne sie explizit lernen zu müssen. Auf diese Art durch den Supermarkt zu gehen bringt beiden etwas. Interaktionen dieser Art können überall stattfinden und Eltern und Kindern einen spielerischen Zugang zur Schulsprache ermöglichen, auch wenn sie diese noch nicht sprechen oder verstehen.
Sprechen Sie mit Ihrem Kind über Ihre gemeinsamen Alltagserfahrungen. Auf diese Weise helfen Sie Ihrem Kind, die Welt, die es umgibt, zu verstehen. Verwenden Sie die Familiensprache so oft wie möglich. Machen Sie sich und Ihr Kind außerdem mit der Schulsprache vertraut, die ein wichtiger Bestandteil Ihres Lebens sein wird, sobald Ihr Kind in das Bildungssystem eintritt. Sie können zwar betonen, dass sich Ihre Familiensprache von der Schulsprache unterscheidet und dass Ihre Familiensprache diejenige ist, die Sie am besten kennen und auf die Sie sich zu Hause konzentrieren werden. Dennoch können Sie sich jedoch mit beiden, also sowohl mit der Schul- als auch mit der Familiensprache befassen (z. B. ein Spiel daraus machen, Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen den Sprachen zu finden) und Ihrem Kind zeigen, dass alle Sprachen wichtig sind und eine Rolle spielen.