Ein Ratgeber für Eltern
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Warum ist es für pädagogische Fachkräfte wichtig, sowohl die Familiensprache als auch die Schulsprache im Alltag zu fördern?
Pädagogische Fachkräfte sind oft unsicher, wie sie mit Kindern umgehen sollen, die mit einer anderen Familiensprache als der Schulsprache aufwachsen. Es besteht die weit verbreitete Annahme, dass diese Kinder Gefahr laufen, in ihrer späteren Schullaufbahn zu scheitern, und dass sie alle so schnell wie möglich eine intensive Sprachförderung benötigen. In einigen Ländern gibt es Programme für eine frühzeitige Sprachförderung - insbesondere für Kinder mit internationaler Geschichte, von denen meist angenommen wird, dass sie sie am meisten benötigen. Diese Annahme hat sich jedoch als zu kurzsichtig erwiesen, und es hat sich gezeigt, dass solche Programme oft nicht so gut funktionieren wie erwartet. Das Risiko für Kinder mit einer anderen Familiensprache als der Schulsprache, die Schullaufbahn nicht erfolgreich zu meistern, steigt nur dann, wenn noch andere Faktoren hinzukommen (wie fehlende Sprachbildung zu Hause, fehlender Zugang zu Büchern und wenn die Eltern weniger Erfahrung mit Bildung und Schulbildung im Allgemeinen haben).
Wenn Kinder jedoch zum Zeitpunkt ihrer Einschulung nur wenig bis gar keine Erfahrung mit der Schulsprache haben, kann es sein, dass sie Schwierigkeiten haben, Inhalte und Anweisungen zu verstehen, die andere Kinder leicht verstehen und befolgen können, einfach weil ihnen die Schulsprache vertraut ist. Kinder können sehr von einem frühen Eintauchen in die Schulsprache (Immersion) durch Gleichaltrige und Fachkräfte profitieren – am besten geschieht dies schon im Vorschulalter. Ähnliche Startbedingungen bei der Einschulung anzustreben, ist nichts weniger als eine Frage der zukünftigen Chancengerechtigkeit und Bildungsteilhabe.
Immersionsprozesse funktionieren besser, wenn sich Familien und Kinder mit all ihren Stärken und Ressourcen, einschließlich ihrer Familiensprache, willkommen, gesehen und respektiert fühlen. Die Familiensprache ist Teil ihrer sozialen, kulturellen und sprachlichen Identität. Sie sollte nicht als weniger wertvoll angesehen werden als die Schulsprache. Das Ignorieren oder gar Verbieten der Familiensprache, z. B. im Kindergarten/in der Kita zugunsten einer Immersion in die Schulsprache, führt oft zu unbeabsichtigten Ergebnissen. Es kann beim Kind ein Gefühl der Ablehnung hervorrufen. Dies kann sich negativ auf die Selbstwahrnehmung und die Motivation des Kindes auswirken, sich weiter mit anderen Sprachen, z. B. der Schulsprache, zu beschäftigen.
Kurz gesagt sollte die Berücksichtigung der Familiensprache und die Förderung (des Erlernens) der Schulsprache Teil des pädagogischen Alltags im Kindergarten/in der Kita sein, um allen Kindern einen bestmöglichen Start in das Schulsystem zu ermöglichen.
Wie lässt sich in Kindergärten/Kitas ein gutes Gleichgewicht zwischen Familien- und Schulsprache herstellen?
Pädagogische Fachkräfte fragen sich vielleicht, wie sie alle Sprachen in ihrer Einrichtung fördern können, vor allem, wenn sie die Schulsprache beherrschen, aber keine der Familiensprachen kennen, mit denen die Kinder vertraut sind. Hier kann es hilfreich sein, sich Folgendes vor Augen zu halten. Alle Kinder mit allen Ressourcen zu unterstützen bedeutet eben nicht nur, die Schulsprache (durch die Verwendung eines reichen Wortschatzes und eines elaborierten Sprachinputs) zu fördern. Unterstützung bedeutet auch, die soziale, kulturelle und sprachliche Identität jedes Kindes, einschließlich der jeweiligen Familiensprache, wertzuschätzen.
Sich einen Überblick über die in der Institution vorhandenen Sprachen verschaffen
Zu diesem Zweck könnte ein erster Schritt sein, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Familiensprache in welchem Haushalt gesprochen wird. Das klingt zwar simpel, aber es gibt vielleicht einige Dinge, die geklärt werden müssen. Die Annahme, dass in einer Familie, die z. B. von Italien nach Slowenien eingewandert ist, Italienisch als Familiensprache gesprochen wird, ist nicht unbedingt richtig. Es könnte auch Slowenisch, Japanisch oder irgendeine andere Sprache sein. Außerdem kann auch eine Familie ohne internationale Geschichte zu Hause eine andere Sprache als die Schulsprache sprechen. Fachkräfte können sich folgende Fragen stellen:
- Kenne ich alle Familiensprachen der Kinder, die ich betreue?
- Weiß ich, ob das Kind alle Familiensprachen, die zu Hause gesprochen werden, versteht und spricht?
- Weiß ich, welches Familienmitglied in welcher Sprache mit dem Kind spricht?
- Weiß ich, wie das Kind reagiert, wenn es in einer bestimmten Sprache angesprochen wird?
- Antwortet das Kind zum Beispiel in der gleichen Sprache, in der es angesprochen wird, oder in einer anderen?
- Können die Eltern zum Beispiel etwas darüber sagen, wie viele Wörter und Ausdrücke ihr Kind täglich in der Familiensprache verwendet?
- Weiß ich, ob Eltern sich Sorgen machen, wenn ihr Kind in einer anderen Sprache antwortet als die, in der es angesprochen wird?
- Wie reagieren die Eltern dann?
- Etc...
Fachkräfte sollten herausfinden, welche Familiensprache zu Hause verwendet wird, anstatt Vorannahmen zu treffen. Manche Familien könnten direkte Fragen dieser Art jedoch auch als unhöflich, als zu privat, oder sogar als beleidigend empfinden. Fachkräfte sollten sich dieser Möglichkeit bewusst sein und den Eltern gegenüber betonen, dass sie ein Lernumfeld schaffen wollen, in dem die kulturelle Identität und die Familiensprache jedes Kindes gleichermaßen geschätzt und repräsentiert werden. Darüber hinaus können Fachkräfte darauf hinweisen, dass das Wissen darüber, wie ein Kind mit der Familiensprache (und der Schulsprache) zurechtkommt, ihnen helfen kann bei jedem Kind sowohl die Familiensprache als auch die Schulsprache ganz individuell zu unterstützen. Fachkräfte können auch darauf hinweisen, dass dies im Hinblick auf den späteren Erfolg in der Schule geschieht.
Ein Kind, das richtig antwortet, aber nicht in der Sprache, in der die Frage gestellt wurde, zeigt, dass es die Frage verstanden hat (manchmal eher durch korrekte Reaktionen als durch gesprochene Antworten). Das Verhalten des Kindes könnte hier als Translanguaging eingeordnet werden. Es könnte allerdings auch sein, dass es sich immer noch unwohl dabei fühlt, die Schulsprache zu verwenden. Eine Fachkraft kann das Kind in einer solchen Situation unterstützen, indem sie Worte und Ausdrücke hinzufügt, um die Antwort des Kindes zu vervollständigen oder zu wiederholen / die Reaktion des Kindes mit Worten in der Schulsprache begleiten, ohne das Kind zu zwingen, diese Sprache zu verwenden (korrektives Feedback und Elaboration).
Es könnte auch sein, dass das Kind in der Schulsprache nicht die notwendigen Artikel oder die richtigen Präpositionen verwendet, weil in der Familiensprache keine Artikel existieren oder eben andere Präpositionen verwendet werden. Das sind Beispiele, die erklären können, warum ein Kind auf eine gewisse Art und Weise beginnen könnte, die Schulsprache zu sprechen. Angenommen, die Fachkraft kennt die jeweilige Familiensprache des Kindes, dann kann sie auf solche Aspekte gesondert achten und z.B. die Verwendung von Artikeln und Präpositionen in der Schulsprache hervorheben.
Es kann jedoch sein, dass Kinder gleichzeitig Hilfe brauchen beim Verständnis und/oder dem Sprechen sowohl der Familien- wie auch der Schulsprache. In diesem Fall sollten sich die Fachkräfte dessen so früh wie möglich bewusst werden und Sprachtraining oder sogar eine Diagnostik für Sprachstörungen anbieten.
Fachkräfte müssen sich daher aller Schritte bewusst sein, die Kinder unternehmen, um jede Sprache kompetent nutzen zu können (siehe auch Kapitel 1 und 2). Für Fachkräfte und Eltern ist es außerdem wichtig, im Hinterkopf zu haben, dass jedes Kind sein eigenes Tempo bei der Sprachentwicklung und beim Spracherwerb hat (siehe Kapitel 1). Das eine Kind ist schneller, das andere langsamer, aber im Allgemeinen gibt es keinen Grund, sich darum zu sorgen.
Einige Strategien und Methoden zur Förderung der Familiensprache in der Einrichtung
Eine Strategie kann darin bestehen, den Eltern in jeder Familiensprache wichtige Informationen über die Abläufe und Ereignisse in der Einrichtung während des Jahres zur Verfügung zu stellen. Dies dient dem Zweck, Missverständnisse zu vermeiden, die durch unzureichende Kommunikation aufgrund einer möglichen Sprachbarriere entstehen. Die Eltern fühlen sich stärker einbezogen und können sich besser beteiligen, wenn sie genau verstehen, was in der Einrichtung, die ihr Kind besucht, geschieht. Die Bereitstellung von Informationen in vielen Sprachen und die Möglichkeit, Ankündigungen in verschiedenen Sprachen zu lesen, zeugt von Offenheit gegenüber der Vielfalt der Sprachen und Kulturen. Dies ist ein weiterer Schritt Richtung mehr Inklusion. Manchmal kann es sogar hilfreich sein, eine dolmetschende Person hinzuzuziehen, um die Kommunikation noch weiter zu erleichtern.
Darüber hinaus machen Begrüßungssätze auf Plakaten oder Zeichnungen von Kindern den gesamten Sprachschatz in der Einrichtung sichtbar. Jede Familiensprache kann präsentiert werden, so können Familien und Kinder (Anteile) ihre(r) Familiensprache auch in der Einrichtung wiederfinden. Dadurch wird die Lese- und Schreibvorläuferfähigkeit der Kinder implizit gefördert, denn die Kinder können Wörter in ihrer Familiensprache sehen, Fragen dazu stellen und sie mit ihrer Familie oder den Fachkräften erkunden. Die Kinder können auch ab und zu in einer anderen Familiensprache begrüßt werden, um die vielen Sprachen in der Einrichtung sichtbar zu machen und zu würdigen. Auf diese Weise können die Kinder ihre Familiensprache von Zeit zu Zeit auch außerhalb ihres Zuhauses hören.
Mit Hilfe der Familien können auch Projekte wie die Übersetzung von Kinderbüchern für eine mehrsprachige Bibliothek oder die Aufnahme von Liedern und das Aufschreiben der Liedtexte durchgeführt werden. Dies kann die Wirkung eines inklusiven Ansatzes zur sprachlichen Förderung verstärken und wertet jede Familiensprache auf. Auf diese Weise wird die Familiensprache eines Kindes auch für andere Kinder und Familien zugänglich, was wiederum den Kontakt zwischen den Familien und der Einrichtung sowie den Kontakt unter den Familien erleichtern kann. So können Vorurteile abgebaut werden. Es kann beruhigend sein, wenn die Kinder die Einrichtung zum ersten Mal betreten und ihre Familiensprache bereits vertreten sehen.
Offene Fragen nach den Namen bestimmter Gegenstände in anderen Sprachen als der Schulsprache ermöglichen es allen Kindern, ihre Familiensprache in der Einrichtung sichtbar zu machen. Gleichzeitig können auch die Kenntnisse der Schulsprache durch die Entwicklung von Gesprächen in solchen Situationen profitieren. Es ist jedoch wichtig, die Kinder nicht zu zwingen, ihre Familiensprache vor anderen zu verwenden. Das Einbringen der Familiensprache in die Einrichtung sollte freiwillig sein und als positiv angesehen werden. Es ist besser, eine Frage wie "Kennt jemand von euch das Wort für Schmetterling in einer anderen Sprache?" zu stellen, als bestimmte Kinder zu fragen: "Sag mir bitte, wie würdest du Schmetterling in deiner Sprache sagen?". Solche Fragen diskriminieren und geben dem Kind das Gefühl, es würde sich vom Rest der Gruppe unterscheiden; sie schaffen ein "ich" und "sie" oder "wir" und "die anderen".
Es gibt viele weitere kreative Möglichkeiten, die Familiensprache eines jeden Kindes wertzuschätzen. Alles, was echtes Interesse und Wertschätzung für diesen Aspekt der Identität eines Kindes und seiner Familie zeigt, kann als Unterstützung angesehen werden.
Einige Strategien und Methoden zur besonderen Förderung der Schulsprache in der Einrichtung
Pädagogische Fachkräfte sind darauf vorbereitet, allen Kindern ein Sprachbad (Immersion) in die Schulsprache zu ermöglichen. Es gehört zu ihrer Verantwortung gemäß nationalen / länderspezifischen Vorgaben für diese Art von Bildungseinrichtungen. Mehrmals pro Woche stattfindende Sprachtrainings sind ein Ansatz zur Förderung der Sprachentwicklung. Die Erweiterung des Wortschatzes, des Sprachverständnisses und der Sprachproduktion der Kinder durch viele ausführliche, authentische Gespräche über Themen, an denen sich Kinder auch beteiligen wollen, ist ein weiterer Ansatz, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Das Interesse und das Nachfragen nach weiteren Details in für sie bedeutsamen Gesprächen motiviert Kinder, immer komplexere Wörter und grammatikalische Strukturen zu verwenden, ohne dass ihnen explizit neue Wörter in der Schulsprache beigebracht werden. Die Kinder imitieren damit ihre sprachlichen Vorbilder, nämlich die Fachkräfte oder ihre Gleichaltrigen. Fachkräfte werden als Sprachvorbilder für die Schulsprache wahrgenommen und nehmen sich auch selbst als solche wahr. Sie sollten darauf achten, was für Worte und Inhalte sie tagtäglich verwenden, um den Wortschatz und die Grammatikkenntnisse der Kinder zu erweitern. Kinder können mit der Sprache spielen und sie neugierig erforschen, vor allem dann, wenn Fachkräfte:
- offene Fragen stellen (zb. Was? Wer? Wie? Wann?
- das Kind loben, wenn es etwas richtig sagt.
- das Kind Sätze vervollständigen lassen. Ein Satzanfang kann als Ausgangspunkt für das Kind dienen, um eine Geschichte über ein vergangenes oder zukünftiges Ereignis zu entwickeln.
- neue Wörter oder Sätze zu den verbalen Ausführungen eines Kindes hinzufügen, um implizit den Wortschatz zu erweitern und eine Geschichte aufzubauen, die das Kind miterzählt.
- korrektives Feedback geben.
- ...
Diese Strategien beinhalten einen kindzentrierten Ansatz, der sich auf die Interessen, Ideen, Erfahrungen und Gefühle des Kindes konzentriert. Manche Kinder sind es jedoch nicht gewohnt, ihre Meinungen, Bedürfnisse und Wünsche in einem Gespräch zu äußern. Diese Kinder nach ihrer individuellen Meinung zu einem bestimmten Thema zu fragen, kann für sie seltsam und unangenehm klingen. Sie würden stattdessen eher auf Fragen antworten, die sich auf die Interessen, Erfahrungen oder Bedürfnisse der Gleichaltrigen oder der Familie beziehen. Fachkräfte sollten daher aufmerksam bleiben, damit sie die ausbleibende Antwort oder Irritation eines Kindes auf eine kindzentrierte Frage nicht vorschnell falsch interpretieren. Fragen, die eher gruppenzentriert sind, könnten dem Kind helfen, mehr beizutragen, z. B. "Wie war das Wochenende mit deiner Familie? Was habt ihr alle gemacht?" statt "Was hast du am Wochenende gemacht?". Jede Situation kann sprachfördernd genutzt werden, z.B. ein bevorstehender Zoobesuch oder eine vergangene Geburtstagsfeier, die gemeinsam nacherzählt werden kann. Darüber hinaus kann jede Aktivität der Fachkraft oder des Kindes durch die Beschreibung des Geschehens in der Schulsprache begleitet werden. Jede Erfahrung oder Herausforderung des Kindes ist ein geeigneter Kontext, um ein bedeutsames Gespräch zu führen, das mühelos mit neuem Wortschatz oder grammatikalischen Strukturen angereichert werden kann. Auf diese Weise bieten die Fachkräfte Sprachbildung und -training an, ohne den Kindern ausdrücklich zu sagen, was sie lernen.
Neben Gesprächen über gegenwärtige, vergangene oder zukünftige Ereignisse und dem gemeinsamen Nacherzählen und Weiterentwickeln von Geschichten können Fachkräfte auch Medien nutzen, um Sprachkompetenzen zu fördern. Dialogisches Lesen ist eine Strategie, die sowohl die Schul- als auch die Familiensprache fördern kann. Indem man die Handlung eines Buches erweitert und damit verbundene Themen einbezieht, während man sie mit dem Kind bespricht, schafft man eine sprachförderliche Situation im Rahmen eines bedeutsamen Gesprächs. Dies geschieht, indem man nicht nur vorliest, sondern mit Kindern gemeinsam liest. Auf diese Art können Fachkräfte die Schulsprache fördern. Dialogisches Lesen eignet sich aber auch zur Förderung der Familiensprache. Das passiert zum Beispiel, wenn die Familien ins Vorlesen und Besprechen der Geschichte einbezogen werden. Auf diese Weise werden alle Sprachen gewürdigt und Familien können sich als kompetente Beteiligte in der Einrichtung wahrnehmen.
- Kind
- Kannst du es vorlesen, bitte? Das Buch?
- Papa
- Na klar. Wir setzen uns hin und lesen es gemeinsam, okay?
- Papa
- ...Und der Fuchs versuchte auf den Baum zu klettern...was passierte dann? Was glaubst du?
- Kind
- Oh, der Fuchs fällt hin, das tut weh...wie ich heute...
- Papa
- Was ist dir heute passiert, mein Schatz?
- Kind
- Die gemeine Greta hat mich geschubst und ich bin hingefallen.
- Papa
- Wirklich? Du bist hingefallen? Hat das sehr weh getan? Was ist dann passiert?
- Kind
- Ich hab das von Mama bekommen!
- Papa
- Ah, also konntest du noch zu Mama laufen, als dein Knie wehtat? Damit bist du gut zurechtgekommen und mit dem Pflaster sollte es schnell heilen... Was meinst du, was sollte der Fuchs jetzt tun?
- Kind
- Zu seiner Mama gehen?
- Papa
- Und wenn Mama nicht in der Nähe ist? Erinnerst du dich, er ist in den Urlaub gefahren, um seine Freunde im Wald hinter dem großen Berg zu besuchen.
- Kind
- Der Doktor! Der Fuchs braucht ein Pflaster!
- Papa
- Da hast du recht, Sohn, der Fuchs braucht ein Pflaster. Oh, schau! Das sieht aus wie ein...
- Kind
- Krankenhaus!!!
- Papa
- Ja, ein Krankenhaus für Tiere, wo alle Füchse, Bären und ... Wer kann noch dorthin gehen??...
Mit wenig Aufwand hat das Kind in diesem Beispiel viele neue Wörter für die Erweiterung seines Wortschatzes aufnehmen können, indem es seinem Vater zugehört hat. Wenn die beiden das Buch das nächste Mal zusammen lesen, finden sie möglicherweise noch einen anderen Zugang oder entdecken noch ein anderes Thema, um das Leseerlebnis interaktiver und dialogischer zu gestalten.
Darüber hinaus können die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Sprachen in Gruppen von Kindern diskutiert werden, wenn sie zweisprachige Geschichten, Reime oder Lieder hören. Kleine Spiele wie "Stille Post" können die Neugier auf die Klänge und Bedeutungen von Wörtern erwecken und verstärken.
Das Spiel „Stille Post“ ist lustig und herausfordernd zugleich. Hierbei flüstert ein Kind ein Wort oder einen Satz in einer Sprache in das Ohr eines zweiten Kindes, welches wiederum das Wort oder den Satz in das Ohr des dritten Kindes flüsternd weitergeben soll. Dieser Vorgang wird so lange fortgesetzt, bis jedes Kind, das an dem Spiel teilnimmt, das Wort oder den Satz hören konnte. Das letzte Kind gibt das Gehörte laut für alle wieder. Ziel des Spiels ist es, das zu Beginn verwendete Wort oder den Satz bis zum Ende richtig weiterzugeben. In der Regel werden dabei einige Silben oder Wörter falsch verstanden, und das Wort oder der Satz, den alle am Ende hören können, ist nicht mehr dasselbe wie das Wort oder der Satz, das bzw. der zu Beginn geflüstert wurde. Es kann eine Diskussion darüber entstehen, was in welcher Phase verstanden wurde, es kann über die mögliche Bedeutung eines unbekannten Wortes gesprochen werden, Wörter können erklärt werden, und Bedeutungen in der Schul- und Familiensprache der Kinder können mit allen geteilt werden. Auch Gespräche über ähnlich klingende Wörter oder Gegensätze können spielerisch mit den Kindern initiiert werden.
Auf diese Weise kann jedes Kind das Gefühl erleben, eine Sprache nicht zu kennen, aber zu versuchen, das Gehörte zu verstehen. Dies lädt Kinder dazu ein, den Inhalt gemeinsam zu erraten, und die Fachkraft kann bei diesem Prozess unterstützen (z. B. durch Sustained Shared Thinking). Alle Kinder können ihren Wortschatz in der Schulsprache durch Zuhören und Sprechen erweitern. Auch Hörbücher oder Lern-Apps können die Schulsprache spielerisch fördern. Sie können als Ergänzung zu nicht-digitalen Methoden und Medien zur Förderung der Sprachentwicklung und des Lernens betrachtet werden.
Fachkräfte sollten bedenken, dass sie mit diesen Strategien und Spielen die Sprachentwicklung aller Kinder unterstützen können. Dennoch hat jedes Kind beim Lernen sein eigenes Tempo. Das ist normal, und das Kind sollte während des Prozesses nicht unter Druck gesetzt werden. Solange keine körperliche oder geistige Beeinträchtigung vorliegt, die sich auf die Sprachentwicklung auswirkt, sollten Fachkräfte nicht ungeduldig sein; stattdessen sollten sie Kinder unterstützen, die ein langsameres Tempo als andere haben.
Ein paar Fragen zum Reflektieren:
Während der Umgang mit mehr Sprachen als der Schulsprache in der Einrichtung für die eine Fachkraft kein Problem darstellen mag, fällt es anderen vielleicht nicht so leicht. Das gesamte Team könnte sich ein paar Minuten Zeit nehmen und alle könnten über ihre eigenen Reaktionen auf die im Alltag einer frühkindlichen Bildungsinstitution existierenden Familiensprachen nachdenken.
- Wie fühlt es sich an, wenn zwei Kinder in einer Sprache kommunizieren, die mir nicht vertraut ist?
- Warum genau fühlt sich das so an?
- Warum genau bevorzuge ich eine Sprache?
- Beeinflusst das meine Reaktion auf ein bestimmtes Gespräch zwischen Kindern? (Um eine solche Frage zu beantworten, kann ich mir ein Gespräch in einer Sprache vorstellen, die mich fasziniert, und ein anderes in einer Sprache, die mich überhaupt nicht fasziniert).
- Was könnte im schlimmsten Fall passieren, wenn Kinder ihr Gespräch in ihrer Familiensprache (einer Sprache, die mir nicht vertraut ist) fortsetzen?
Fachkräfte können sich in diesem Prozess mit ihrer eigenen Einstellung oder manchmal auch mit ihrer Unsicherheit gegenüber der Verwendung der Familiensprache in frühkindlichen Bildungseinrichtungen auseinandersetzen. Es kann manchmal irritierend sein, das Gespräch zwischen zwei Kindern, die die gleiche Familiensprache sprechen, nicht zu verstehen. Fachkräfte könnten das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren. Sie können sich fragen, was genau sie stört, wenn sie einer Familiensprache zuhören, die sie nicht verstehen, oder warum sie bestimmte Sprachen bevorzugen und andere nicht. Das höhere Ansehen einer bestimmten Familiensprache kann die Art und Weise beeinflussen, wie Fachkräfte mit dieser Familiensprache in ihren Alltagsroutinen umgehen. Dies geschieht in der Regel unbewusst. Fachkräfte sollten sich dessen jedoch bewusst sein und können von Methoden wie Supervision und kollegialer Beratung (Intervision) Gebrauch machen, um diese Thematik anzugehen. Wenn Fachkräfte offen und selbstreflektierend bleiben und sich selbst als ständig lernende Personen wahrnehmen, können sie davon profitieren, was Kinder - als Expert*innen ihrer Familiensprache - zu verschiedenen Gesprächen beitragen können. Eine Fachkraft zu sein, kann also auch bedeuten, die Person zu sein, der etwas Neues beigebracht wird.
Das Wichtigste:
- Es ist wichtig, dass das Kind eine positive Einstellung zu allen Sprachen entwickelt. Dies kann erreicht werden, indem sowohl die Familiensprache als auch die Schulsprache gefördert werden.
- Fachkräfte können zum Erfolg der Sprachentwicklung von Kindern einen großen Beitrag leisten, indem sie ein reiches und elaboriertes (ausschmückendes) sprachliches Umfeld gewährleisten.
- Zu diesem Zweck müssen Kinder täglich in viele Gespräche einbezogen werden, die für sie von Bedeutung sind.
- Fachkräfte können kreativ sein, wenn es darum geht, wann und wie sie mit dem Kind ins Gespräch kommen.
- Es könnte hilfreich sein, wenn Fachkräfte gedanklich einen Schritt zurückgehen und über ihre eigenen Reaktionen auf Mehrsprachigkeit innerhalb der Bildungseinrichtung nachdenken.